Evangelisches Dekanat Vogelsberg

Angebote und Themen

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          Der Tag X – die Räumung des Dannenröder Forstes – ist gekommen. Ralf Müller berichtet über seine Beobachtungen vor Ort

          Zwischen "Kopfschütteln und Hochachtung"

          Lange hatte man auf den „Tag X“ gewartet, nun ist er gekommen und die Räumung der Camps der Umweltaktivisten im Dannenröder Forst hat begonnen. Ralf Müller, Referent für Bildung und Ökumene, ist seit Wochen fast täglich im Wald unterwegs. Für beinahe alle Akteure dort ist er mittlerweile ein bekanntes Gesicht. Wie er nun den ersten Tag der Räumung erlebt hat, hat er für uns aufgeschrieben. Ein Erfahrungsbericht.

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          Das Evangelische Dekanat Vogelsberg bietet unter Federführung von Ralf Müller, dem Referenten für Bildung und Ökumene, seit Wochen regelmäßige Friedensandachten in Dannenrod an, die Alexander Starck als Ortspfarrer für das Dekanat verantwortet. Zudem entsendet das Dekanat täglich Beobachter-Teams in den Wald, die sich ein Bild von der Lage und den Aktivitäten aller Beteiligten im Verlauf des Geschehens machen. Bei allen Angeboten und Vorhaben spielen Neutralität und Allparteilichkeit eine wichtige Rolle.

          Gegen 7.15 Uhr kommt mir zwischen Lehrbach und Kirtorf ein Konvoi von gezählten 70 Mannschaftswagen entgegen, danach, kurz vor Angenrod, dann zwei Reisebusse – dem Kennzeichen nach handelt es sich um Bundespolizei.

          Seit der Mittagszeit läuft meine Beobachtung ab der „Kirschbrücke“ an der B62 bei Niederklein; hier ist die Pressestelle der Polizei eingerichtet. Die B62 ist zwischen Lehrbach und Niederklein voll gesperrt. An der Kirschbrücke befinden sich 30 bis 40 Mannschaftswagen, alle mit einem Wiesbadener Kennzeichen. Rund ein halbes Dutzend Bamberger Mannschaftswagen kommen mir zudem auf der Anreise nach Niederklein entgegen – es ist mächtig was los im gesamten Waldgebiet.

          Heinz Frank begrüßt mich an der Kirschbrücke: Der Kirchenvorsteher aus Windhausen ist Polizeibeamter. Sein Job: Begleitung der Parlamentarischen Beobachter*innen und der kirchlichen Beobachter*innen. „Die Parlamentarischen haben aber Vorrang“, sagt er. Frank erläutert mir die „Bearbeitungsstraße“, die auf der B62 aufgebaut ist: Zwischen Mannschaftswagen stehen Pavillons, einige Waldbesetzer werden von der Polizei festgehalten. Die „Bearbeitungsstraße“ dient der Identifizierung von Personen, die Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen haben. Da viele eine Identitätsfeststellung verhindern, indem sie ihre Fingerkuppen in Bootslack tauchen, stehen auch die „GeFas“, die Gefangenentransporter bereit. „Was muss ich tun, um in die Bearbeitungsstraße abgeführt zu werden?“, frage ich Frank nach der Polizei-Hemmschwelle. „Treten Sie dem Kollegen dort einmal gegen das Knie, dann erleben Sie es!“, antwortet Frank grinsend.

          Ein kurzes Gespräch führe ich anschließend mit Dr. Bettina Hoffmann, der parlamentarischen Beobachterin von Bündnis90/Die Grünen. Sie stammt aus dem Wahlkreis Schwalm-Eder und ist umweltpolitische Sprecherin der Fraktion. Sie bittet darum, in eine Videokonferenz der kirchlichen Beobachter*innen eingeladen zu werden. Dass sie „als Grüne von vielen nicht mehr gern gesehen ist, wisse sie, wie sie sagt. Am Austausch mit unserer Beobachter*innen ist sie dennoch interessiert.

          Auf dem Weg in den Wald kommt mir dann Sabine Leidig entgegen, Parlamentarische Beobachterin der LINKEN im Bundestag. Etwa sechs Wochen zuvor sind wir uns erstmalig im Dannenröder Wald begegnet. Als kirchenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist sie am Engagement des Dekanats sehr interessiert – und zugleich überrascht. Wir sind beide in Gespräche vertieft und winken uns nur kurz zu. Ich werde wohl Leidig und Hoffmann gemeinsam zu einem Austausch mit unseren kirchlichen Beobachter*innen im Rahmen einer Videokonferenz einladen.

          Der Polizeieinsatz findet wenige hundert Meter westlich des „Schmitthof“ statt, eines Einzelhofes zwischen Lehrbach und Niederklein. Die Polizei räumt die Zufahrtswege von Barrikaden, hat auch einen rund acht Meter hohen „Tripod“ mit der Motorsäge abgebaut. Der Bereich ist mit Flatterband abgegrenzt, ein näheres Herankommen ist nicht möglich. Über den Bau- und Forstmaschinen sind auf rund 20 Metern Höhe zwei Baumhäuser errichtet – ein „Ableger“ von „Drüben“, wie die Waldbesetzer*innen das nördlichste Hüttendorf im Dannenröder Forst nennen. „Drüben“, weil gegenüber der Bundesstraße der Stadtallendorfer Herrenwald beginnt. „Die Baumhütten werden noch nicht geräumt, es geht heute nur um die Zufahrtswege“, erläutert mir Frank. Kurz darauf muss er sich verbessern: Die Waldbesetzer, die mit einem Hubsteiger aus den Ästen geholt werden, müssen wohl weichen, weil sie sich im Sicherheitsbereich der Baumaschinen befinden.

          Mit Hochachtung und Respekt spricht ein anderer Pressebetreuer von einem Waldbesetzer: „Der umklammert schon seit heute Morgen den dünnen Baum und rührt sich nicht.“ Wasser wird ihm nicht gereicht. Wenn er Durst hat, kann er ja runterkommen.

          Ein anderer Baumbesetzer wird von drei Polizeibeamten zu den Sanitätern des Vogelsberger DRK auf die Wiese unterhalb des Waldrandes getragen. Er hat seine Arme um einen Baum geschlungen und oberhalb der Ellenbogen einbetonieren lassen. Auch nachdem der Beton abgeschlagen ist, kann er die Arme noch lange nicht wieder bewegen. Durch die Polizeibeamten geht ein Kopfschütteln und Hochachtung vor dem Einsatz zugleich.

          Ich gehe weiter nach „Drüben“, ins Baumhüttendorf etwa 100 Meter oberhalb des Einsatzortes. Mit unseren „Kirchenwesten“ sind wir den Waldbesetzern vertraut, ich werde freundlich begrüßt. „Kannst Du uns sagen, was da unten passiert? Wir können hier jetzt ja nicht weg und selbst gucken!“, rufen sie mir zu. Die zwei jungen Frauen, eher Abiturjahrgang als Studentinnen, und der junge Mann sitzen auf einer etwa drei bis vier Meter hohen Plattform, die mit einer Anlegeleiter erreichbar ist. Sie wissen, dass sie als nächste dran sein werden, in den nächsten Tagen. „Schon mein Vater hat vor dreißig Jahren einen Wald gegen einen Straßenbau besetzt“, erzählt mir die junge Frau. „Er wird wohl stolz sein auf seine Tochter“, denke ich mir. Die Visitenkarte mit meiner Mobilnummer nehmen die drei gern entgegen – als Absicherung in Notfällen.

          Mindestens sechs, eher acht kirchliche Beobachter*innen sind am „Tag X“ im Dannenröder Forst zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten unterwegs. Ich treffe durch Zufall insgesamt vier Kolleg*innen. „Die kirchlichen Beobachter erhalten Zugang im Sicherheitsbereich“, bestätigt mir Jochen Wegmann, der Polizeisprecher für den A49-Einsatz. „Wir machen mit Ihnen gute Erfahrungen. Warum sollten wir Sie also abweisen?“

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