Gesprächszeit des Evangelischen Dekanats zum Nahost-Konflikt
Auf der Suche nach einer Haltung
Foto: T. Schlitt28.11.2023 ts Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Der Krieg zwischen der Hamas und Israel tobt. Den unmenschlichen Terroranschlägen von der einen Seite folgte ein unbarmherziges Bombardement von der anderen Seite. Menschen in Gaza und Israel erleben unglaubliches Leid. Während der deutsche Staat hier in Teilen eine klare Positionierung pro Israel einnimmt, tun sich viele Menschen mit einer Haltung schwer: Zu groß sind die Verletzungen auf beiden Seiten. Andere wiederum sind schnell dabei, die Ursache allen Übels allein in der israelischen Politik und dem Siedlungsbau zu sehen. Auf diesem Boden nährt sich auch in Deutschland (schnell wieder) Antisemitismus. Viele Juden in Deutschland trauen sich nicht mehr aus dem Haus, Wände werden beschmiert, Menschen bedroht. Welche Einstellung können wir entwickeln - als Deutsche, als Christen? Wie kommen wir ins Gespräch mit Andersdenkenden? Welche Meinungen müssen wir akzeptieren und wo sind sogenannte rote Linien? Fragen dieser Art stellen sich derzeit viele Menschen. Der Gesprächsbedarf ist groß.
Diesem Bedarf wurde nun ein Angebot des Evangelischen Dekanats Vogelsberg gerecht: Gemeindepädagogin Cordula Otto, Dr. Carolin Braatz, Referentin für Ökumene und Gesellschaftliche Verantwortung, und Diakon Holger Schäddel, boten eine „Gesprächszeit zum Nahost-Konflikt“ an, eine offene Runde mit kleinen Denkanstößen, etwas Moderation und Gelegenheit, Fragen zu stellen und ausführlich aufeinander einzugehen.
Anhand kleiner Impulse versuchte das Team, einen Einstieg in das Thema zu finden. Als Mensch mit großer Israel-Erfahrung sprach zunächst Christoph Hilbrig über seine Zeit in Israel vor Längerem. Bereits in den Sechzigerjahren habe es Auseinandersetzungen mit den Palästinensern gegeben, die Israelis seien auch in ihrem eigenen Land schon immer gezwungen gewesen, auf der Hut zu sein, wehrhaft zu bleiben. Cordula Otto ging auf die Grenzbewegungen ein, die im Lauf der Jahrzehnte stattgefunden haben. Riesige Flüchtlingsströme seien das Ergebnis der Grenzverschiebungen, doch die arabischen Länder, die an Israel angrenzen, hätten die Palästinenser kaum integriert. Gleichzeitig hätten auch Juden immer aus arabischen Gebieten fliehen müssen: Ihre Ziele seien Israel, die USA, Europa. Carolin Braatz positionierte sich in ihrem Impuls sehr klar: „Jedes ‚Ja, aber‘ ist fehl am Platz“, sagte sie und betonte, dass es unerträglich sei, dass auch in Deutschland Juden wieder Angst um ihre Sicherheit haben müssen. Es sei nicht auszuhalten, dass auf deutschen Straßen Menschen die Angriffe der Hamas auf Israel ganz unverhohlen gefeiert haben. „Terror kann nie ein legitimer Freiheitskampf sein – und jede pro-palästinensische Veranstaltung wird sich noch eine Weile deutlich vom Angriff der Hamas distanzieren müssen, um nicht den Eindruck zu erwecken, diesen rechtfertigen zu wollen.“
Die Redezeit selbst wurde an drei Tischen ganz unterschiedlich genutzt. Die einen versuchten sich ein Lösungsszenario vorzustellen, eines, das dauerhaften Frieden versprechen könne und allen Beteiligten gute Perspektiven gibt. „Nicht nur Staaten haben ein Existenzrecht, sondern auch Menschen“, hieß es hier. Angesichts der festgefahrenen Ansichten auf allen Seiten wurde eine Lösung jedoch als illusorisch erachtet. Als sich die Frage stellte, ob man im zwischenmenschlichen Bereich etwas tun könne, war man schnell beim Thema Haltung zeigen, eine Position einnehmen. Auch dies nicht leicht, zumal die einfachen Lösungen sich in der Gesellschaft eines großen Zulaufs erfreuen. Es gibt ein „gleichzeitig“, so eine Antwort auf die Frage der Komplexität. Auf Israel und Palästina bezogen, bedeute dies unter anderem, dass die Menschen auch dort keine homogene Gruppe seien, die alle dieselbe Haltung zur Politik oder zum Terror in ihrem Land haben. Über geschichtliche Rückblicke, die auch länger zurücklagen als die Gründung des Staates Israel, versuchten Einzelne in den Runden eine Annäherung; Thema war auch die Jahrtausende währende Vertreibung der Juden, die sich nur nach einem, nach ihrem Land sehnten. Schließlich kamen die Gesprächspartner auch auf die Schwierigkeiten in Deutschland zu sprechen. Der Kontakt zu muslimischen Gemeinden sei hier und da schwieriger geworden, war zu hören. Und nicht zuletzt ging es auch an die Grundfesten der Demokratie, die viele in einer Krise sehen.
Viele weitere Facetten wurden an dem Abend zumindest angerissen, etwa die Frage, warum uns als Deutsche dieser Konflikt mehr beschäftigt als beispielsweise die Situation im Jemen. Woher die Vehemenz kommt, mit der diskutiert wird und warum es als ein gesellschaftliches NoGo angesehen werde, Israel öffentlich zu kritisieren. „Ein gigantisches Thema“, befand Holger Schäddel nach Ablauf der Redezeit. Am Ende stand die Hoffnung, dass friedliche Einflüsse auch im Diskurs gestärkt werden könnten. Klar war auch: „Nach jedem Gespräch steht kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt.“
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