Ralf Müller verabschiedet – neuer Wirkungskreis als Referent für Flüchtlingsarbeit und –seelsorge in Gießen
Ein Allrounder mit vielen Ideen und Verdiensten
25.01.2023 plu Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Gerngesehener Gesprächspartner für öffentliche Diskussionen zu verschiedensten gesellschaftspolitischen und kirchlichen Themen, versierter Experte in Flüchtlingsfragen, Unterstützer von Kirchengemeinden bei Fundraising-Aktionen aller Art und als Religionswissenschaftler und Erwachsenenpädagoge auch intern häufig Ratgeber bei vielen Fragen, die sich im Arbeitsalltag bei „Kirchens“, wie er seinen Arbeitgeber gerne nennt, ergeben. Nun aber heißt es Abschiednehmen von dem Allrounder, der sich im nächsten Abschnitt seines Berufslebens spezialisieren will: Am 1. Februar tritt Ralf Müller sein Amt als Referent für Flüchtlingsarbeit und –seelsorge der Region Nord der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Gießen an. Vor wenigen Tagen wurde er, der Mitbegründer des Vogelsberger Kirchenkinos, im Lauterbacher Lichtspielhaus verabschiedet.
Im September 2005 kam er von der Evangelischen Kirche im Rheinland mit seiner Familie in den Vogelsberg. Hier war er die Erstbesetzung der neugeschaffenen Fachstelle Bildung und Ökumene im Dekanat – eine Stelle, die dem Mann mit den vielen Talenten viel Gestaltungsfreiraum bot, den er auch nutzte und von dem sowohl das Dekanat als auch die Kirchengemeinden stets profitierten. Dabei half ihm bis zum heutigen Tag sein Gespür für Themen, die erst noch kommen oder schon anliegen, die die Menschen beschäftigen oder beschäftigen werden: Mit vielen Projekten war Müller seiner Zeit voraus, nahm Vorreiterrollen ein, die seinen Ideen Beachtung in der ganzen Republik schenkten:
Erstmals sorgte Müller 2008 mit dem ethischen Börsenplanspiel „Gut und Börse“ für überregionale Aufmerksamkeit. Hierbei ging es um die wirtschaftliche Kraft von ethischen Geldanlagen – ein Thema, für das sich damals auch Banken vor Ort interessierten.
Auch die Inhalte seiner Fortbildungsreihe zum „Ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleiter (m-w-d)“ verteilten sich über ganz Deutschland – und zwar Jahre bevor spätestens im Jahr 2015 viele helfende Hände benötigt wurden. Im Jahr 2011 war er an der Gründung des Selbstlernzentrums beteiligt, das noch heute in den Räumen des Dekanats aktiv ist. Migranten haben bis heute hier die Möglichkeit, kostenlos mit Unterstützung einer Fachkraft und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern Deutsch zu lernen. In diesen Jahren fand gemeinsam mit Pro Asyl sowie der Diakonie und der Caritas auch die Beratung für Geflüchtete in Alsfeld statt, vorübergehend auch in den Räumen des Dekanats. Über einen langen Zeitraum hinweg war das Dekanat gemeinsam mit den anderen Partnern eine der ersten Anlaufstellen für geflüchtete Menschen. Aus diesem Aufgabenfeld hat Müller nicht nur die vielfach kopierte Fortbildung entwickelt, sondern im Jahr 2016 auch eine Stelle für Freiwilligenmanagement geschaffen, darunter eine halbe Stelle, die den Sprachmittlerpool des Vogelsbergkreises mit Leben gefüllt hat.
Als im Jahr 2013 in den ersten Studien der Vogelsberg perspektivisch totgesagt wurde, entwickelte er mit BIBER eine Fortbildung für Dorfprojektentwicklung, die nicht nur viele Menschen im Kreis wahrnahmen und deren Ergebnisse bis heute sichtbar sind, sondern die auch mit dem Demographiepreis Hessen ausgezeichnet wurde.
Bei allen neuen Projekten war er stets dem Gedanken der Nachhaltigkeit verhaftet: Viele seiner „Erfindungen“ wirken nach oder bestehen weiter, wie das Selbstlernzentrum oder der Arbeitsbereich Innovative Erwachsenenarbeit, der im Dekanatsangebot nun einen festen Platz hat.
„In allen Bereichen, die ich im Lauf meiner Jahre hier in Alsfeld tätig war, habe ich neben dem gesellschaftlichen auch immer den kirchlichen Bezug gefunden und mit eingebracht“, sagt der Religionswissenschaftler, dem es stets ein Anliegen war, auch Menschen, die nicht die klassischen Gottesdienstbesucher sind, mit einzubinden – ganz gleich welcher Religion oder Konfession sie sind, schließlich war er auch Ökumene-Referent mit Leib und Seele: Dass die Ökumene im Dekanat heute so reibungslos und partnerschaftlich funktioniert, ist auch ihm mit zu verdanken – wie so vieles, und das nicht nur spirituell, sondern ganz handfest:
Zum Spezialisten für Fundraising hat er sich nebenberuflich an der Fundraising-Akademie in Frankfurt weitergebildet: Mit seinem Wissen und dem Talent, jede noch so kleine Chance zur Förderung von Projekten zu nutzen, verhalf er nicht nur dem Dekanat zu den verschiedensten neuen Stellen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern unterstützte zahlreiche Kirchengemeinden, die Geld für einen Turm, einen Fahrstuhl oder eine Komplettsanierung brauchten.
Ebenfalls untrennbar mit Gesicht und Namen von Ralf Müller verbunden ist die Arbeit im Partnerschaftsausschuss der Kerala-Arbeit. Hier hat er nicht nur viele Treffen mit der südindischen Partnerschafts-Diözese organisiert und begleitet, sondern er hat viele Male Spendengelder akquiriert, insbesondere dann, wenn Naturkatastrophen oder zuletzt die Pandemie dort für unbeschreibliches Elend sorgten. In den vergangenen drei Jahren hatte er zudem kommissarisch die Geschäftsleitung des Ausschusses inne. Im Rahmen der weltwärts-Aktivitäten war Müller maßgeblich daran beteiligt, dass inzwischen schon drei junge Menschen aus Indien einen einjährigen Aufenthalt in Deutschland absolvieren konnten.
Und wer noch mehr von ihm wissen will, der schaue bei seinem Engagement um das inzwischen in der Region etablierte Kirchenkino oder auch seinem Einsatz für neutrale Beobachtungen bei der Rodung des Dannenröder Forsts nach. „Hier wurden wir als Kirche explizit angefragt“, blickt Müller auf eine aufreibende Zeit im Jahr 2020 zurück, „und waren sowohl Ansprechpartner für die Aktivistinnen und Aktivisten als auch für die Einsatzkräfte der Polizei.“
Doch auch für ihn als Kirchenmann gilt die Umkehr des Sprichworts „Viel Feind, viel Ehr‘“: Für viele Menschen, die sowohl einer Willkommenskultur für Geflüchtete als auch den Aktivitäten im Klimaschutz kritisch gegenüberstehen, war Müller oft ein rotes Tuch: Einschlägige Kommentare im Internet und den sozialen Medien belegen das zuhauf. „Manche Kommentare waren schon beängstigend“, gibt der 54-Jährige heute zu. Sein Bestreben sei jedoch stets gewesen, faktenbasierte Auseinandersetzungen zu führen. „Es gibt immer kontroverse Positionen, die man diskutieren kann“, findet er.
Dass das Dekanat einen Mann mit einer solchen Leistungsfähigkeit und –bereitschaft, mit einer solchen Innovationskraft und dennoch unglaublichen Gelassenheit ungern gehen lässt, liegt auf der Hand. Doch sowohl in der Dekanatsleitung als auch im Kreis der Kolleginnen und Kollegen ist man sich einig: „Wir sind froh und dankbar, dass wir ihn so lange hatten.“ Nun werden andere von seinem Wissen profitieren, in Alsfeld ist man sich einig: „Schön für Gießen!“
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken